135. Tag Der Blubberitsch

Liebes Reistagebuch,

ist das nicht eine süße Geschichte?

Die hat mir vor ein paar Jahren mal ein sehr lieber Freund geschrieben/gewidmet.

Das hat mich schon damals sehr angerührt und tut es gerade schon wieder, dass jemand für mich so eine witzige, weise und warmherzige Geschichte schreibt und mich und meine Lieben so beschreibt, so sieht.

Das ehrt mich und meine Lieben wirklich sehr und ich hoffe , dass eine Menge Blubberitsche ein sehr schönes neues zu Hause finden werden <3

 

Der Blubberitsch

Eine phantastische Geschichte von M.

gewidmet Beate, in Liebe und Dankbarkeit

Alles fing damit an, dass ein halbschmöriger Blubberitsch aus der Familie der Bubeldonendops irgendwie von dem Planeten Quarantäne 33a in die Tierhandlung Fressnapf in der Klosterstraße in Berlin gelangte. Meine Nachforschungen ergaben rein gar nichts über die Art und Weise, wie er dorthin gelangt sein könnte. Was an sich seltsam ist, denn Blubberitsche gelten gemeinhin als gefährliche Lebewesen, wobei bis heute nicht zu ermitteln war, warum eigentlich. Und ebenso weiß man bis heute nicht, wie Blubberitsche überhaupt aussehen. Das ist ja das Blöde an diesen uralten Quarantäne-Planeten. Man hat sich so sehr daran gewöhnt, sie zu ignorieren, dass keiner mehr weiß, warum sie eigentlich unter Quarantäne gestellt wurden, und irgendwann gerät dann alles in Vergessenheit. Bis zum heutigen Tag steht im Grunde nur fest, dass sich aus unerfindlichen Gründen am 29. Dezember 2013 ein halbschmöriger Blubberitsch aus der Familie der Bubeldonendops in der Tierhandlung Fressnapf in der Klosterstraße befand.

Woher ich das weiß? Nun, Verkäufe von exotischen Tieren werden in Deutschland bekanntlich akribisch protokolliert und nach den Unterlagen der Tierhandlung kaufte eine gewisse Beate Bock um 12:43 Uhr einen Blubberitsch, und zwar für 139,50 €. Frau Bock kaufte zusätzlich auch einen kleinen Tierkäfig, so dass man wenigstens die Größe des Blubberitsch abschätzen kann, es muss irgendetwas zwischen Maus und Papagei sein. Sonst kaufte sie nichts, auch keine Tiernahrung, so dass man vermuten kann, dass Blubberitsche das gleiche essen wie Katzen, Hunde oder Menschen, denn da, wo Beate Bock wohnte, gab es eben nur Katzen, einen Hund und Menschen. Oder ein Blubberitsch ist eines dieser seltenen Lebewesen, die sich praktischerweise nur von Luft und Wasser ernährten, wie der sagenumwobene Mitschepitsch, den ein gewiefter Händler vor einigen Jahren von Penetatus 12 eingeführt hatte. Weil Mitschepitsche im Unterhalt so viel praktischer und billiger waren, brachen damals bekanntlich für Meerschweinchen, Hamster und Zwergkaninchen schwere Zeiten an, denn keiner wollte sie mehr als Haustiere haben. Bis sich zu deren Glück herausstellte, dass Mitschepitsche in Wahrheit ziemlich intelligente und weise Lebewesen sind, die nur eine gewisse Zeit brauchen, um die Sprache der Menschen zu erlernen. Als dann die angeblichen Haustiere anfingen zu sprechen und den Menschen kluge Ratschläge gaben, brach die Nachfrage schlagartig zusammen und die Menschen wandten sich wieder Meerschweinchen, Hamstern und Zwergkaninchen zu. Aber das ist eine andere Geschichte.

Vorausgesetzt das Kassensystem funktionierte einwandfrei, kann als gesichert gelten, dass Beate Bock um 12:53 Uhr, also nur 10 Minuten, nachdem sie den Blubberitsch und den Käfig gekauft hatte, wieder bei Fressnapf war und den Käfig zurückbrachte. Die Frage ist: Wo war der Blubberitsch? Hatte sie ihn im Auto gelassen? Nach meinen Recherchen sah es Beate Bock überhaupt nicht ähnlich, ein unbekanntes, vielleicht verängstigtes Haustier allein im Auto zu lassen. Und wenn sie nicht allein zu Fressnapf gefahren war, wäre sie und nicht der Mitfahrer bei dem Tier geblieben, das ist klar. Bleibt als Schlussfolgerung – und auch der weitere Verlauf der Begebenheiten legt dies nahe -, dass Beate Bock mit dem Blubberitsch auf der Schulter oder in den Armen, das weiß man nicht so genau, in jedem Fall mit einem Blubberitsch in Freiheit zu Fressnapf zurückkehrte und den Käfig zurückbrachte.

Was dann folgte, ist vollkommen unbegreiflich und vielleicht nur zu verstehen, wenn man voraussetzt, dass freie Blubberitsche eine andere Wirkung haben als eingesperrte. Die Kassiererin jedenfalls, ihr Name war Katja Blumenthal, schaffte es offensichtlich gerade noch, den Retoure-Vermerk in die Kasse einzugeben und das Geld auszuzahlen, so dass Frau Bock, dann ohne den Käfig, das Geschäft wieder verließ. Doch es war für diesen Tag und vermutlich überhaupt das letzte Mal, dass Katja Blumenthal jemals wieder eine Kasse bediente. Zeugen berichteten, dass Frau Blumenthal schlagartig in ein unverhältnismäßiges, fröhliches Glucksen ausbrach, das begleitet war von einem breiten Dauergrinsen. Völlig unvermittelt umarmte sie ihre Arbeitskollegen und redete plötzlich davon, dass sie jetzt mit ihren Eltern ins Reine kommen und sich danach von ihrem Ersparten den Traum einer Weltreise erfüllen wolle. Nur 20 Minuten später hatte sie gekündigt und singend, lachend und hopsend das Geschäft verlassen.

Wer denkt da nicht an den Zwergwächter von Macadamia 5, dieses äußerst seltene Lebewesen – der Begriff Tier ist da vermutlich nicht angebracht -, das den 3. interstellaren Erkundungsflug der Vereinten Nationen allein dadurch fast zum Scheitern brachte, dass die Besatzung in der Gegenwart des Zwergwächters nicht anders konnte, als ihre tiefsten Geheimnisse zu offenbaren, woraufhin fast alle Besatzungsmitglieder einen solchen Lachanfall bekamen, dass die Mission für drei Tage außer Kontrolle geriet und zu scheitern drohte und nur durch das beherzte Eingreifen des manisch-depressiven zweiten Funkers im letzten Augenblick gerettet wurde, mit dem bekannten Ergebnis, dass fortan bei jeder Mission mindestens ein manisch-depressives oder oder zumindest mäßig autistisches Besatzungsmitglied, das sich durch nichts, aber auch rein gar nichts beeinflussen lässt, mit an Bord sein musste. Aber auch das ist eine andere Geschichte.

Denn bei dem Blubberitsch lagen die Dinge offensichtlich anders. Die nächste Station von Beate Bock und dem Blubberitsch war Florida-Eis. Kaum hatten beide das Geschäft betreten – und noch bevor jemand sagen konnte, dass Tiere in einer Eisdiele eigentlich nichts zu suchen hatten -, erhob sich die Hälfte der vielleicht 20 Gäste von ihren Tischen und sagten ihren Begleitern, dass sie eigentlich gar keine Lust gehabt hätten, Eisessen zu gehen und nur wegen des jeweils anderen mitgekommen wären. Woraufhin die anderen 10 Gäste, die sitzengeblieben waren, meinten, dass ihnen das ganz recht wäre, denn sie hätten zwar Lust gehabt Eisessen zu gehen, doch am liebsten mit jemand anderen, den sie sich nicht getraut hatten zu fragen, und diese 10 holten dann fast gleichzeitig ihre Handys heraus und riefen diejenigen an, mit denen sie eigentlich viel lieber Eisessen gegangen wären. Innerhalb von Sekunden gab es in der Eisdiele also ein ziemliches Durcheinander, das noch dadurch verstärkt wurde, dass die Hälfte der studentischen Hilfskräfte, die hinter den Tresen standen, mit einem Mal ihre Eislöffel niederlegten und nach Hause gingen, um sich nicht mehr vor dem Studieren zu drücken, und die andere Hälfte sich selbst einen prachtvollen Eisbecher zusammenstellte und sich dann genüsslich an den inzwischen freigewordenen Plätzen niederließ, um zu überlegen, was sie eigentlich mit ihrem Leben anfangen wollten. Die Situation geriet vollends außer Kontrolle, als vorbeifahrende Autos plötzlich anhielten, weil viele Fahrer endlich das taten, was sie schon immer mal tun wollten, wenn sie bei Florida-Eis vorbeifuhren, nämlich anhalten und sich einfach mal nur so zwischendurch ihr Lieblingseis zu gönnen. Von der französischen Touristengruppe im Doppeldeckerbus, die zufälligerweise gerade in diesem Augenblick vorbeikam, will ich nicht weiter reden.

Ich weiß nicht, wie Beate Bock aus dem ganzen Tohuwabou herausgekommen ist, und ob sie überhaupt noch ihr Eis bekommen hat. Ihre Spur verliert sich ein wenig. Sie und sicherlich ihr Blubberitsch müssen aber zum Auto zurückgegangen sein. Denn den nächsten Hinweis über den Verbleib beider fand sich bei der Esso-Tankstelle an der Ecke Heerstraße/Gatower Straße, wo sie offensichtlich zum Tanken angehalten hatte. Nach 10 Minuten war die Tankstelle nicht mehr wiederzuerkennen. Einige ließen ihr Auto einfach stehen und fuhren mit dem Bus weiter, weil sie, wie man später erfuhr, ihr Umweltgewissen schon lange gequält hatte, andere Kunden tauschten einfach ihre Autos, weil sie das Auto des jeweils anderen schöner fanden, ein Kraftfahrer, der regelmäßig dort tankte, gestand der Verkäuferin am Backshop seine Zuneigung, woraufhin sie auf der Stelle ihre sowieso ungeliebte Stelle kündigte und ihre Freundin anrief, von der sie wusste, dass sie liebend gerne als Verkäuferin arbeiten würde, und mit dem Kraftfahrer durchbrannte.

Spätestens jetzt dürfte klar sein, dass der Blubberitsch in dieser Welt tatsächlich ein höchst gefährliches Lebewesen ist. Offensichtlich verführt er die Menschen dazu, mit ihren wahren Wünschen ehrlich zu sein und er stattet sie darüberhinaus mit dem Mut aus, diese Wünsche auch auszusprechen und sie – das als Krönung des Ganzen – sogar sofort umzusetzen. Frau Bock musste gewarnt werden! Ihr eigenes Leben und das Leben der Menschen um sie herum war in höchster Gefahr. Ich wusste, dass ich mich damit auf eine gefährliche Mission begab, doch ich konnte nicht anders. Ich musste sie warnen. Und so entschied ich mich, sie aufzusuchen und sie persönlich über meine Erkenntnisse zu informieren.

 

Nun sitze ich hier also und muss ihnen irgendwie verständlich machen, was ich bei Beate Bock erlebt habe. Sie werden es mir nicht glauben, ich weiß das. Um es kurz zu machen: Wir sind nicht in Gefahr, nicht mehr. Denn der Blubberitsch ist jetzt genau da, wo er hingehört. Ich konnte es kaum glauben, aber bei Beate Bock und den Menschen, die mit ihr zusammenwohnen, hat der Blubberitsch nichts ausgerichtet, rein gar nichts, keine Unordnung, kein Chaos, nichts! Alle in dem Haus scheinen genau das zu tun, was sie auch wirklich wollen. Das Leben ohne den Blubberitsch ist für sie so wie mit dem Blubberitsch, nur ein wenig schöner, denn – und das kann ich jetzt mit Fug und Recht sagen, denn ich habe einen kurzen Blick auf ihn werfen können -, in Wahrheit ist der Blubberitsch ein wunderschönes, höchst sympathisches, überaus weises und friedfertiges Wesen.

14702387_10209755220011124_8819569705609543021_n